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Nichts Festes, unterm Hintern

Das Pedersen-Rad ist etwas für absolute Individualisten

Wer dieses Fahrrad fährt, sollte kommunikativ sein. Unbedingt. Denn mit
dummen Fragen ist immer zu rechnen. "Man stellt es mal kurz vorm Bäcker
ab, und schon stehen Leute davor und wollen eine Menge wissen", so Otto
Renken, langjähriger Pedersen-Fahrer. Tenor: "Und damit kann man fahren?"

Bestens sogar, dürfte jeder Fan dieses ungewöhnlichen Velos antworten.
Ist er ehrlich, wird er allerdings noch hinzufügen, dass man sich daran ge-
wöhnen muss. An den Hammock-Sattel vor allem. Diese lederne Sitzfläche
bietet zwar mehr Platz als der herkömmliche Fahrradsattel, ist jedoch leicht
schräg aufgehängt und schaukelt ein wenig - wie eine Hängematte eben.
"Man hat nichts Festes unterm Hintern", bestätigt Otto Renken. Aber nach
ein paar Kilometer komme man damit klar und wolle gar nicht mehr abstei-
gen. Aber natürlich wird auf der Hängematte nicht rumgelümmelt. Auf ei-
nem Pedersen thront man aufrecht, der Rücken bleibt entspannt, die Hand-
gelenke locker. So zumindest will es die ergonomische Sitzordnung.

Die rollende Hängematte haben wir Mikael Pedersen (1855 - 1929) zu ver-
danken, dem dänischen Ingenieur, der auch die Milchzentrifuge erfunden
hat. Die Legende besagt, dass er die damaligen Fahrradsättel für aufrei-
bende Härtefällehielt, zu unflexibel für die Tretbewegung des Radlers. Also
kam er zuerst auf Hammock und dann auf den dazu passenden Fahrrad-
rahmen. Den konstruierte Pedersen drum herum und hielt sich dabei streng
an die Gesetze des Hängebrückenbaus. So bestand sein Prototyp, 1893 in
England zum Patent angemeldet, ausschließlich aus geschlossenen Drei-
ecken. An heutigen Nachbauten zählt man 21, inklusive die der Gabel und
der Abspannungen am Hinterrad. Das ergebe eine hervorragende Stabilität,
ist von Jesper Solling zu erfahren: Denn auf das Gestänge wirkten "nur
Zug- und Druckkräfte ein, jedoch kein Biegemoment". Zumindest Inge-
nieurstudenten werden wissen, was gemeint ist.

Sölling, ebenfalls Däne, ist der heutige, Pedersen-Papst. Vor mehr als einem
Viertteljahrhundert war er auf die Zeichnungen eines seltsamen Gefährts
gestoßen. Das Pedersen war längst von der Straße verschwunden, die Pro-
duktion 1922 eingestellt worden. Doch der junge Sölling, seinerzeit in Ko-
penhagens Hippie-Kolonie Chistiania mit dem Bau von Öfen und Fahrrad-
anhängern beschäftigt, war fasziniert vom alten Rad, versuchte bald eigene
Pedersen zusammenzulöten. Heute ist er Partner von
Kalle Kalkhoff, beide bilden ein deutsch-
dänisches Joint Venture, Standort Oldenburg. Sie bringen den klassischen Rahmen mit mo-
derner Ausstattung zusammen und haben - offensichtlich erfolgreich - die Zielgruppe der
selbstbewussten Best Ager im Auge. Leute, die keine Angst haben, mal aufzufallen, anderer-
seits die bequeme Tour zu schätzen wissen.

Mittlerweile werden in Deutschland - die Retro-Räder auch noch von anderen - hergestellt, et-
wa von der Manufaktur
Michael Kemper bei Aachen. Und das erste Fachgeschäft, das es wagt,
nichts als Pedersen-Räder anzubieten, ist seit anderthalb Jahren in Fürth zu finden. Dort ver-
wendet man als Zutaten alles, was der Kunde wünscht, zumeist teure und edle - Komponen-
ten, etwa die 14-Gang-Nabenschaltung von Rohloff . Regelrechte Luxusgeschöpfe verlassen
den Laden, Durchschnittspreis etwa 3000 Euro.

Custom-made - das haben auch Kalkhoff und Sölling lange Zeit hochgehalten. Jetzt vertrei-
ben sie in erster Linie ihr T-Modell, ein Volks-Pedersen: Die Chrom-Molybdän-Rohre des Rah-
mens sind grundsätzlich schwarz, die Ausstattung ist standardisiert. Für 1550 Euro wird dem
Kunden nicht nur außergewöhnliche Technik geboten: Er erhält - das Rad frei Haus und darf
es 14 Tage lang testen. Sollte er dann immer noch nicht entflammt sein, wird's wieder abge-
holt - zahlen muss er nichts. "Beim Fahrradkauf ist die Probefahrt nun mal das A - und 0",be-
merkt Kalkhoff lakonisch. Bis her habe noch keiner versucht, sich mit der Lieferung aus dem
Staub zu machen.

Pedersen anschauen und auch mal ausprobieren dürfen - das ist immer dann - möglich, wenn die Pedersen-Community - zusammenkommt. Renken ist Mitorganisator des Norddeutschen Pedersen-Treffens, das mit seinen 100 Teilnehmern kürzlich wieder das beschauliche Bad Zwischenahn in Erstaunen versetzt hat.
Und auch beim 14. Nord- bayerischen Treffen, das vom 22. bis 24. September 2006 nahe Aschaffenburg stattfinden wird, will er dabei sein. Denn der typische Pedersen-Fahrer, angeblich absoluter Individualist, sei ja in Wirklichkeit kommunikativ. Wenn auch oft gezwungenermaßen. (Helmut Dachale) . PDF